The Voice of Germany

Es hat eine neue Staffel der Castingshow begonnen und unweigerlich wird mehr darüber gesprochen. Den Höhepunkt der lokalen Berichterstattung hatten wir in Würzburg erreicht, als vergangenes Jahr Andreas Kümmert die Show gewann. Mir persönlich ist das ehrlicherweise ziemlich egal. Ich mag keine Castingshows. Unabhängig davon ob Sänger, Models oder einfach Talente (was immer man darunter versteht) gesucht werden.

Seitdem ich einige eigene Lieder veröffentlicht habe, findet jedoch eine interessante Verknüpfung der Menschen statt. Ich werde – natürlich im Spaß – gefragt ob man mich nun bald in »The Voice auf Germany« sehen könnte. Natürlich nicht, denn abgesehen davon, dass ich diese Karriere nicht anstrebe, wäre ich gemessen an meiner stimmlichen Leistung schlicht zu schwach für die Show. Dass ich die Sendung jedoch als Ganzes nicht sehe und vor allem nicht gut finde, erstaunt die Menschen dann jedoch sehr, weil es doch, genau mein Ding sein müsste.

Ich habe mir über diese Verknüpfung und insbesondere meine Abneigung gegenüber Castingshows in den vergangenen Wochen viele Gedanken gemacht, habe über »the voice« recherchiert und mir insbesondere auch die Künstler anderer Länder angesehen. Ich wollte in erster Linie auch vermeiden, dass es nicht fehlgeleiteter Neid ist, der mich diesen Beitrag verfassen lässt, weil die Kandidaten das verwirklichen, was ich mir erträume. Ein Stück weit mag es vielleicht sogar stimmen, dass ich die Sänger beneiden bzw. bewundere. Dass ich die Show und das Konzept nicht gut finde, wird dadurch jedoch nicht beeinträchtigt, dessen bin ich mir sicher.

Grundsätzlich ist »the voice« – und deshalb schreibe ich nur über diese Sendung – die gute Castingshow. Dem Publikum wird suggeriert, dass lediglich die Stimme zählt, und dass das Aussehen der Künstler keine Rolle spielt. Die vergleichbaren Sendungen der ersten Stunde schneiden hier in der öffentlich Wahrnehmung deutlich schlechter ab (und das auch zu Recht!). Ich habe mich immer gefragt, wie es sein kann, dass eine Nacktszene in einem Spielfilm, die Jugendschützer auf den Plan ruft und eine FSK 16 fordert, während es problemlos möglich ist, die Würde von Menschen zur besten Sendezeit mit Füßen zu treten. Derzeit läuft eine Kampagne gegen Mobbing an Schulen und im Internet (sog. Cyber-Mobbing). Anstelle solcher Kampagnen sollte man (vielleicht) derartige Sendungen zensieren und hinterfragen, ob nicht 10 Jahre DSDS das Problem überhaupt erst befeuert hat – aber das nur nebenbei.

Es sind vor allem 5 Punkte, die mich an »the voice« stören und weshalb ich das Gute der Sendung schlicht nicht sehen kann, und demnach mir die Show als Ganzes nicht ansehe.

  1. Trugschluss Blind Auditions: Die Künstler singen den Coaches einen Song vor, und diese sehen den Sänger nicht. Sie entscheiden lediglich an der Stimme ob sie ihn gut finden oder nicht. Hieran stören mich gleich mehrere Sachen. Zum Einen wird über diesen Trick der Zuschauer davon abgelenkt was tatsächlich passiert. Der Sänger, der sich hier darstellt, ist keineswegs ein ungeschliffener Diamant, der nach seiner Chance greift. Es handelt sich um einen vorausgewählten Kandidaten durch eine unbekannte Jury, die den Sänger für gut genug befunden hat. Heißt, die lähmende Vorauswahl, die in anderen Shows unter Best of Vollidioten läuft, hat schon stattgefunden.Die Vorträge sind dabei natürlich einstudiert, was anders gar nicht möglich wäre, denn kein Sänger performt blind mit einer unbekannten Band fehlerfrei und zum Teil mit seinem eigenen Instrument vor dem Bauch.
    Durch die Blind Auditions gerät vor allem aber in Vergessenheit, dass sich im weiteren Verlauf der Sendung, kein Unterschied zu anderen Casting Formaten einstellt. Die Kandidaten performen alleine oder gegeneinander (Battles) vor den nun sehenden Coaches Songs und werden dann bewertet und per Abstimmung durch Zuschauer und später auch Coaches entweder ab oder weiter gewählt. Dass hier dann nur die Stimme zählt, kann guten Gewissens bezweifelt werden.
  2. Die Krux der Künstler: Was die Show sich auf die Fahne schreiben kann, ist, dass sie im direkten Vergleich zu den anderen Formaten, sicher eine fairere (das Wort existiert nicht, beschreibt aber das Paradoxe daran ganz gut) Chance für die Künstler bietet. Bei »the voice« werden auch hin und wieder eigene Kompositionen vorgestellt und in der Breite muten die Kandidaten mehr als echte Künstler an, als es in den anderen Sendungen der Fall ist. (meine subjektive Wahrnehmung). Leider verändert dies das Ergebnis der Show nicht. Die Künstler performen überwiegend fremde Lieder, in zum Teil erschreckend ähnlichen Versionen (1 zu 1 Coverversionen) und tun dies im Rahmen der Show, da der geneigte Zuschauer natürlich ein bekanntes Lied besser bewerten kann als irgend eine unbekannte Nummer. Zum Ende zählt der Sieg und der erste Schritt in Richtung persönliche Selbstaufgabe hat stattgefunden und gipfelt meist in dem von »the voice« auferlegten Image. Der Künstler bekommt eine CD auf den Leib geschrieben, tourt durch die Republik und ist das, was »the voice« möchte – ein günstiger Künstler mit vollen Hallen. Urplötzlich wird zum Ende auch das Outfit der Künstler und die Bühnenpräsenz – die Stimme haben wir ja schon getestet – relevant und natürlich rechnet sich z.B. der Sexy Vamp auch Chancen aus weiter zu kommen, da die hohen Schuhe und die enge Hose besonders männliche Zuschauer an den TV-Geräten begeistert.
  3. Die Coaches: Unabhängig von der Sympathie, die ich für einige der Künstler empfinde, finde ich die Rolle, die sie hier spielen bedenkenswert. Denn natürlich geht es ihnen in der Show nicht in erster Linie um das Entdecken neuer Künstler. In erster Linie – und das zeigt sich im CD-Release der neuen Coaches – geht es um Promotion. Fanta 4 erhofft sich aktuell selbstredend bessere Verkaufszahlen ihres neuen Albums, durch den Stuhl den sie in »the voice« besetzen. Boss Hoss haben vorgemacht, wie man die Publicity aus der Sendung mitnehmen kann und selbst Nena, die auf eine langjährige Fanbasis bauen kann, hat von der Show profitiert.
    Außerdem, und hier liegt für mich als Musiker vor allem das Problem, nicht jeder Musiker ist ein guter Produzent. Das ist es jedoch was die jungen Künstler tatsächlich bräuchten. Jemand der verschiedene Künstler betreut hat, der Ideen hat, die über Pop-Musik hinaus gehen und der das Handwerk eines Produzenten kennt. Es fällt mir schwer hier eine Bewertung abzugeben, da die bekannten Künstler natürlich viele Studio-Stunden schon hinter sich haben und zum Teil vielleicht auch selbst als Produzenten. Den überwiegenden Teil jedoch sicher als Künstler. Die Show würde das Prädikat am Wohl der Kandidaten interessiert für mich erst dann erhalten, wenn die einzelnen Coaches nach der Staffel ihren »Sieger« unter Vertrag nehmen würden und mit dem Künstler an einer CD arbeiten würden. Dadurch, dass es lediglich einen Sieger gibt, und die anderen drei Musiker wieder in der Versenkung verschwinden, ist das Dasein der Coaches schlicht Makulatur.
  4. Null Risiko: Man muss kein Betriebswirt sein um die einfache Rechnung hinter der Sendung zu erkennen. Es ist Sat1/Pro7 aus wirtschaftlicher Sicht vollkommen egal, wer gewinnt. Am Ende der Staffel ist das Geld verdient. Der Rest ist Zugabe. Die Show ist sicher nicht billig produziert, aber durch die guten Quoten auch nicht billig für Werbepartner. Die Telefonabstimmungen sind alles andere als günstig und die Hauptakteure (die Kandidaten) sind sowieso nahezu kostenlos. Eine Sendung, die so aufgestellt ist, hat auch kein Interesse an einer langen gemeinsamen Koexistenz. Dies ist auch der Grund warum viele Sieger (wer gewann noch einmal die erste Staffel….? ) danach verschwinden. Sie sind verbraucht, in ihrem Image verloren und bekommen keinen neuen Vertrag, weil die Gewinne der Tour uninteressant sind. Ein neuer Sieger muss her, und mit dem Weg zum Sieger wird das große Geld verdient.
  5. Das Spiel mit den Träumen: Dies ist der wichtigste Punkt für mich und deshalb kann ich eine stark subjektive Formulierung nicht vermeiden. Ich hasse dieses Spiel mit den Träume der Menschen und werde es immer hassen! Es wird mir viel zu wenig thematisiert, obwohl es das schlimmste an allen Castingshows ist. Denn das Rezept der Sendung ist, dass Menschen mit einem Talent einen Traum haben – einen Traum den viele haben. Sie wollen mit dem, was sie lieben, Erfolg haben. Getrieben von diesem Traum sind sie bereit alles zu ertragen. Dämliche »Battles« mit Kollegen. Peinliche »Homestories« mit der Familie. TV-Prostitution im großen Stil und immer im Sinne der Quote.
    Ich finde das abscheuliche, denn einen Traum zu haben, ist menschlich und den Wunsch diesen erfüllt zu bekommen auch. Diese Sendungen machen mit den Träumen dieser talentierten Menschen sicheres Geld von dem die Künstler viel, viel zu wenig sehen. Nur um sie dann, ausgebrannt und ohne jeden neuen Ansatzpunkt zurück in ihr altes Leben zu entlassen. Die meist sehr jungen Menschen – 21 und jünger – haben einen Aufstieg von null auf hundert erlebt und werden schlicht verblendet und desillusioniert sich selbst überlassen. Ist das in Ordnung?
    »The voice« klammert einzig und allein einen Punkt aus, der von anderen Sendungen nicht ausgeklammert wird. Sie verspotten, die schwachen Kandidaten nicht auch noch und führen sie an den Pranger der Öffentlichkeit. Das allein rechtfertigt (für mich) jedoch nicht das Eingangs genannte Siegel der guten Castingshow.

Es ist jetzt doch deutlich ausführlicher geworden, warum ich Castingsshows (inklusive »the voice«) nicht ansehe, geschweige denn für gut befinde. Wer meint, dass ich damit voll an der Sache vorbei schieße, ist eingeladen einen Kommentar zu schreiben. Wer glaubt, dass ich vollkommen richtig liege, ist ebenfalls Willkommen in den Kommentaren in die selbe Kerbe zu schlagen.

Schönes Wochenende zusammen.

5 Kommentare

    1. @Stefan: Allerbesten Dank für das Lob, den Kommentar und natürlich die Verlinkung auf Facebook.

      Ich konnte den Fehler mit dem CAPTCHA Code übrigens beheben – vielen Dank für die Email, dass die Kommentarfunktion nicht funktioniert 😉

  1. @Simon: Wow, vielen Dank für diesen starken Artikel. Umfangreich, aber spannend bis zum Schluss. Bitte mehr davon!

    Habe außerdem den Eindruck, dass du ein mögliches Gegenmodell zu den Castingshows gerade mit deinen eigenen Songproduktionen und deiner Blogaktivität vorlebst. Vorbildlich!

    1. @Dennis: Vielen Dank – der Artikel wurde hinten raus viel großer als ich zu Beginn erwartet hatte. Freut mich, dass sich die Arbeit gelohnt hat.

      Ob es ein so massentaugliches Gegenmodell ist bezweifle ich zwar 😉 aber es ist in jedem Fall der bessere Weg für mich selbst. Wobei ich mich wirklich frage, ob die Teilnehmer der Shows, die Verträge nicht lesen bzw. nicht verstehen.

      Wer Interesse hat, kann unter folgenden Links zwei Artikel des Handelsblattes zum Thema Castingshow finden. Da hier die Sendungen “Das Supertalent” und “Deutschland sucht den Superstar” in den Focus gestellt werden, haben ich sie in meinem Beitrag nicht zitiert. Insbesondere der Passus über die Vertragsinhalte ist wirklich bedenklich – aber lesenswert.

      http://www.handelsblatt.com/unternehmen/it-medien/das-supertalent-die-dunklen-seiten-der-rtl-glitzer-show/5984966.html

      http://www.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/gastkommentar-dreimal-nein-fuer-die-menschenwuerde/5985090.html

      1. @Simon: Das nenne ich mal eine solide Recherchearbeit, gut so. Ich finde, dein ökonomisch geschulter Blick ist eine große Bereicherung für den Artikel, weil der kommerzielle Ansatz der Castingshows mit seinen eigenen Mitteln konfrontiert wird und die verschleiernde Entertainment-Maske verrutscht und den Blick frei gibt auf eine ziemlich hässliche Fratze.

        In sich reinzuhorchen und dann das zu tun, was einen individuell beschäftigt, begeistert und erfüllt halte ich übrigens durchaus für ein gangbares Gegenmodell. Ein andere, sinnvolle Alternative gibt es eigentlich gar nicht.

        Keep up the good work!

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